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Artikel erschienen in EU-Rundschreiben des Deutschen Naturschutzrings (DNR), August 2005 

Der nukleare Rahmen der EU
Einblick in die Atom-Förderung der Europäischen Union

Die Förderung der Atomkraft auf der EU-Ebene ist eine etwas unüberschaubare Angelegenheit, so dass die Versuchung groß ist, sich nicht mit dieser komplizierten Materie zu befassen. Allerdings ist diese Ebene von höchster Wichtigkeit, da hier die zukünftigen Aktivitäten der europäischen Atomkonzerne gebündelt werden. Der Euratom-Vertrag von 1956 ist innerhalb der EU der einzige Gründungsvertrag, der bisher nie geändert wurde. Die euphorische pro-nukleare Grundstimmung der Anfangsjahre herrscht auch heute noch in einem Großteil der EU-Gremien vor.

Im 5. Rahmenprogramm 17 Mio. Euro für Hochtemperatur-Reaktoren

Die atomaren Aktivitäten werden in so genannten "Europäischen Rahmenprogrammen" festgelegt. Im 5. Forschungsrahmenprogramm für die Zeit von 1998 bis 2002 wurde unter anderem die Förderung der Hochtemperatur- Reaktorlinie festgelegt. Forschungsarbeiten zur "Sicherheit und Effizienz künftiger Systeme" waren Teil des EU-Arbeitsprogramms. In der Antwort auf unsere von der Grünen-EU-Parlamentarierin Hiltrud Breyer eingebrachte Anfrage musste die EU-Kommission zugeben, in den Jahren 2000 und 2001 insgesamt 17 Millionen Euro für die HTR-Forschung ausgegeben zu haben. Den größten Teil davon hat das Forschungszentrum Jülich erhalten. Die HTR-Linie soll nach diesen Angaben in den zukünftigen Rahmenprogrammen massiv gefördert werden, damit im Jahre 2030 diese Reaktorlinie auf EU- Ebene großtechnisch einsatzbereit ist. Die Störfälle in dem THTR Hamm- Uentrop in den 80er Jahren werden von der EU-Kommission als "Kinderkrankheiten" bezeichnet, aus denen wichtige Erkenntnisse für die Zukunft abgeleitet werden können. In dem EU-Ausschuss, der dies alles beschlossen hat, hat die deutsche Regierung ausdrücklich keinen Widerspruch angemeldet, sondern den Beschluss mitgetragen.

Über 1 Milliarde Euro für nukleare Forschung 2003-2007

Innerhalb des 6. Forschungsprogramms von 2003 bis 2007 sind insgesamt 1.230 Millionen Euro für die nukleare Forschung vorgesehen. Bereits 2002 hatte die EU-Kommission die ausgerechnet "Grünbuch" genannte Entschließung "Hin zu einer europäischen Energieversorgungssicherheit" verabschiedet. Hier wird besonders die Option Atomenergie für die Zukunft betont. Ein Jahr später beschloss die EU- Kommission das "Nuklearpaket" und die Erhöhung der Euratom-Kredite von 4 auf 6 Milliarden Euro. Das EU- Parlament selbst konnte darüber nicht abstimmen, sondern lediglich nachträglich eine Stellungnahme dazu abgeben. Kein anderer Energieträger erhält eine derart wettbewerbsverzerrende Unterstützung in einem weit reichend liberalisierten Binnenmarkt. 2003 unterstrich der Bericht der Generaldirektion Forschung der EU-Kommission die angebliche Notwendigkeit sich weiterhin der Atomenergie zuzuwenden.

Besonders wichtig: Reaktoren der Generation IV

Besondere Bedeutung wird den Reaktoren der so genannten Generation IV innerhalb der EU zuerkannt. Ein wichtiger Baustein dieser neuen Etappe soll der HTR werden. Die Zeitung "atw" (Atomwirtschaft) schrieb im Juni 2004: "Inzwischen ist auch eine deutsche Mitwirkung an Generation IV über die Mitgliedschaft an GIF (Generation IV International Forum) und über eine Drittmittelfinanzierung der deutschen Beiträge zu Generation IV durch die EU und die Industrie ermöglicht worden. So sind Führungskräfte aus dem Forschungszentrum Karlsruhe und dem Forschungszentrum Jülich in den Lenkungsausschüssen für das Supercritical-Water-Cooled Reactor System (SCWR) und das Very-High-Temperature Reactor System (VHTR) mit einer EU- Finanzierung vertreten und bereiten mit industrieller Unterstützung im Rahmen des 6. Forschungsrahmenprogramms der EU anspruchsvolle Beiträge zu den Projekten vor."

Atomlobby fordert Gelder im 7. Forschungsrahmenprogrammm

Zur Zeit wird innerhalb der EU-Gremien der Etat des 7. Forschungsrahmenprogramms von 2008 bis 2013 diskutiert. Hinter den Kulissen herrscht ein arges Gedränge verschiedener Lobbyfraktionen, um von dem zu verteilenden Kuchen zukünftiger EU-Gelder eine möglichst große Portion abzubekommen. Im Rahmen der 1999 beschlossenen so genannten Lissabon-Strategie sollen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Forschungsintensität in Europa verstärkt werden. Durch dieses neoliberale Wettbewerbsprogramm soll das EU-Kapital in Zukunft auf Kosten der Sozialpolitik in Konkurrenz zu USA und Asien noch größere Profite realisieren. Der jetzige rotgrüne Sozialabbau ist mit der Agenda 2010 und Hartz IV nur die erste Stufe des damals von allen europäischen Regierungschefs beschlossenen Programms.

EU soll an der "zentralen Rolle der Kernenergie in Europa" festhalten

Damit bei den zur Zeit anstehenden Verhandlungen über das 7. Forschungsrahmenprogramm der EU die Geldquellen für die Atomindustrie auch weiterhin kräftig sprudeln, hat die alle zwei Jahre stattfindende Konferenz des Verbands der Nuklearindustrie Foratom (European Atomic Forum) in Brüssel einen Appell an die EU-Politiker gerichtet, "an der zentralen Rolle der Kernenergie in Europa festzuhalten" und "die Kernenergie als wichtige Grundlage der europäischen Energieversorgung weiter zu stützen". (atw 1/2005, S. 45)

Deutsche Erstunterzeichner waren der RWE-Chef Gert Maichel und der Eon- Sprecher Walter Hohlefelder. Um die rotgrüne Ausstiegsrethorik kümmern sich die führenden Vertreter der Energiewirtschaft nicht mehr. Da sich die weitere Förderung der Atomkraft innerhalb der EU bereits durchgesetzt hat, geht es in der Deklaration der Atomlobby vor allem darum viel Druck aufzubauen, um möglichst viel Geld zu bekommen. Und darüber droht jetzt Streit in Brüssel.

Verdopplung des Foschungshaushalts zugunsten der Atomindustrie?

Die EU-Kommission fordert eine Verdoppelung der Forschungsausgaben, wovon die Atomindustrie profitieren würde. Um das Geld zusammenzubekommen, wären zusätzliche Transferzahlungen nach Brüssel notwendig, vor allem von Deutschland. Bundeskanzler Schröder will das aber nicht und fordert eine Begrenzung des EU-Haushalts für die Jahre 2007 bis 2013 auf 1 % des Bruttoinlandsprodukts. Kommt es in den nächsten Monaten zu keiner Einigung, käme der gesamte Fahrplan des 7. EU- Forschungsrahmenprogramms ins Trudeln. Die Atomindustrie bekäme für ihre spezifischen Programme - wozu auch die HTR-Förderung gehört - weniger Geld. "Dies wäre der GAU [!] für die Forschungsprogramme" zitierten die VDI-Nachrichten am 11. Februar einen EU-Diplomaten. "Im Interessenkonflikt zwischen Bauern, Briten und der Forderung nach mehr Geld für die Forschung präsentiert sich die europäische Gemengelage als wahrhaft gordischer Knoten", jammerten die VDI-Nachrichten noch am 29. April. Zu allem Überfluss präsentierte der CDU-Europaabgeordnete Reimer Böge als Haushalts-Berichterstatter eine Streichliste von 50 Millionen Euro für Forschung, Verkehr und den Sozialbereich.

Forschungskommissar macht Druck

Der EU-Forschungskommissar Janez Potocnik aus dem Neumitglied Slowenien macht demgegenüber zunehmend Druck, um eine Steigerung der Forschungsausgaben doch noch zu erreichen, und fordert zusätzlich ein größeres finanzielles Engagement der EU-Konzerne: "Der Slowene verweist dabei nicht ohne Stolz auf das eigene Land. In dem Zwei-Millionen-Staat werden die gesamten FuE-Ausgaben zu 60 % von der Industrie getragen - damit liegt das Land klar über dem EU- Durchschnitt" (VDI-Nachrichten, 11.03.05). Das kleine Slowenien betreibt (zusammen mit Kroatien) ein Atomkraftwerk in Krsko. Die rotgrüne Bundesregierung hat im Jahre 1999 für dieses AKW eine Bundesbürgschaft über 42 Millionen DM übernommen. Seit genau vier Jahren ist das slowenische Unternehmen VUJE Mitglied im internationalen HTR- Technology-Network, einem Zusammenschluss von 17 internationalen Forschungsinstitutionen.

Diese politischen Konstellationen und Beziehungen sind sicher kein Zufall, sondern Resultat zielgerichteten politischen Handelns. Der Ausgang der Haushaltsberatungen ist zur Zeit noch völlig offen.

Deutsches Ausstiegsszenario bedingt erhöhtes EU-Engagement

Die HTR-Lobby nutzt also seit vielen Jahren die EU-Ebene geschickt für ihre eigenen Interessen aus, weil es angesichts des langfristig geplanten "Ausstiegs" in Deutschland etwas schwieriger geworden ist, Gelder für Atomforschung zu erhalten. Mit dem Hinweis auf übergeordnete EU- Entscheidungen können die deutschen Forschungsinstitutionen im eigenen Land ihre fortgesetzte Nuklearforschung mit "Sachzwängen" und Vorgaben der EU-Kommission rechtfertigen. Das ist geschickt eingefädelt und die rotgrüne Bundesregierung beteiligt sich widerspruchslos an diesem Treiben. Wir selbst sind bei diesen Entscheidungen sowieso nur Zuschauer, die nur noch im Nachhinein die Resultate des Haushaltspokers zur Kenntnis nehmen können. Es ist deswegen höchste Zeit, dass die Atomkraftwerksgegner auch auf EU-Ebene dieser Politik verstärkt Widerstand entgegensetzen.

Gastautor : Horst Blume, Bürgerinitiative Umweltschutz Hamm

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