Brennstab-Exporte nicht legal
von Anika Limbach
Eine gekürzter Fassung des Artikels erschien in der September/Oktober-Ausgabe 2016 der Bonner Umweltzeitung
Schon seit Längerem geben die belgischen Risikomeiler Anlass zur Sorge. Seit der Störfallserie in Doel und Tihang Ende vergangenen Jahres nahm der Protest in Deutschland stetig zu, genauso wie die Anzahl klagender Kommunen. Sogar Bundesumweltministerin Barbara Hendricks fand deutliche Worte gegenüber der belgischen Regierung. Ein wenig später geschah das Gleiche in Bezug auf die störanfälligen Uraltreaktoren in Fessenheim und Cattenom. Dass ausgerechnet zwei in Deutschland ansässige Fabriken – die Brennelementefarbik in Lingen und die Urananreicherungsanlage in Gronau – diese grenznahen Atomkraftwerke im Ausland mit Brennstoff beliefern, ist äußerst brisant und könnte mittelfristig zur Schließung der Anlagen führen.
Als Global Player der Atomwirtschaft besitzen die beiden Fabriken eine unbefristete Betriebsgenehmigung. Darüber hinaus verfügt die UAA Gronau über eine Technik, mit der atomwaffenfähiges Material hergestellt werden könnte. All dies kümmerte bis vor einem halben Jahr nur die Anti-Atom-Bewegung, eine Handvoll kritischer Journalisten und einzelne engagierte Politiker. Beide Anlagen wurden sowohl im rot-grünen "Atomkonsenz" als auch 2011 in Merkels "Atomausstieg" ausgeklammrt. Im Vorfeld der Verhandlungen zur Änderung des Atomgesetzes hatte der Bundesrat zwar empfohlen, auch die Laufzeit der beiden Atomfabriken zu begrenzen, besonderen Nachdruck wurde dem aber nicht verliehen. Deutliche Kritik kam damals nur von der Linkspartei.
Die Betreiber URENCO und AREVA /ANF blieben von den landeseigenen Atomaufsichten weitgehend unbehelligt. Im Laufe ihrer Amtszeit ließ die rot-grüne Regierung in Nordrhein-Westfalen nicht erkennen, dass sie die ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzt, um die Urananreicherung "rechtssicher" zu beenden. Es ist ein Ziel, das bisher nur auf dem Papier ihres Koalitionsvertrags steht. Niedersachsens Regierung hielt es nicht einmal für notwendig, das Thema der Brennelementfertigung im Koalitionsvertrag zu erwähnen.
Doch der Widerstand scheint langsam zu wirken. Im Juni forderten die Umweltminister der Länder dank einer Initiative von Johannes Remmel, die Uranfabriken per Gesetz in den Atomausstieg einzubeziehen. Nachdem Ministerin Hendricks darauf zunächst ablehnend reagiert hatte, scheint sie nun bereit zu sein, mit Minister Remmel über eine Schließung der Urananreicherungsanlage Gronau zu verhandeln. Sogar das NRW-Wirtschaftministerium, das Insider für tendentiell atomfreundlich halten, begrüßt Hendricks Vorstoß.
Es bleibt abzuwarten, ob die Beteiligten ihren Worten auch Taten folgen lassen und ob neben der Gronauer Anlage auch die Brennelementfertigung Gegenstand der Verhandlungen sein wird. Dafür allerdings müsste vor allem Umweltminister Wenzel sorgen. Abgesehen davon ist es ein durchaus steiniger Weg bis zum erklärten Ziel. Rein rechnerisch verfügen Grüne, Linke und SPD im Bundestag zwar über eine Mehrheit. Aber wegen des Koalitionszwangs müsste Hendricks auch die CDU/CSU-Fraktion gewinnen – ein äußerst schwieriges Unterfangen.
Noch wirkungsvoller in der jetzigen Situation wäre ein Verbot der brisanten Exporte. Seit Monaten schon fordern AtomkraftgegnerInnen, die Ausfuhr deutscher Kernbrennstoffe nach Belgien und Frankreich umgehend zu unterbinden. Nach anfänglichem Schweigen reagierte das Bundesumweltministerium mit der knappen Verlautbarung, es gäbe dafür keine rechtliche Handhabe.
Zum gegenteiligen Schluss kommt allerdings ein kürzlich vorgestelltes Rechtsgutachten, das von der atomkritische Ärzteorganisation IPPNW, AntiAtomBonn und anderen Initiativen in Auftrag gegeben wurde. Die "weitere Belieferung der Atomkraftwerke in Doel, Fessenheim und Cattenom mit in Deutschland hergestellten Brennelementen", so erläutert die Juristin Cornelia Ziehm, sei "nicht nur in hohem Maße widersprüchlich. Sie ist auch mit dem geltenden Recht nicht vereinbar."
Nach Paragraph 3 des Atomgesetzes dürfen die zu exportierenden Kernbrennstoffe nur dann eine Ausfuhrgenehmigung erhalten, wenn sie "nicht in einer die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdenden Weise verwendet werden". Erforderlich sei außerdem "ein Handeln bereits aus Vorsorgegründen und nicht erst zur Gefahrenabwehr." Für eine Ausfuhr müssen laut Gutachten "objektive Anhaltspunkte" für die Sicherheit des Kraftwerks vorliegen, in dem der Brennstoff zum Einsatz kommt. Die in Deutschland geltenden Vorschriften seien hierbei maßgeblich, nicht etwa die des Nachbarstaates. Die Anlagen in Doel, Fessenheim und Cattenom dürften nach dem Atomgesetz nicht mehr betrieben werden. Das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) müsse also Brennstabexporte zu diesem Meilern unterbinden und notfalls Genehmigungen widerrufen.
Das weisungsbefugte Bundesumweltministerium hält sich noch bedeckt, es teilte nur mit, man werde das Gutachten prüfen.
Beinah skurril erscheint, wie das Management der AREVA-Tochter ANF reagierte. "Überhaupt kein Verständnis haben wir für die Forderung eines Exportverbots", äußerte der Geschäftsführer Peter Reimann gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung. Denn mittelfristig käme das "einem Schließungsbeschluss für unsere Anlage gleich". Die Marketingleiterin Karin Reiche teilte auf Anfrage mit, ein Lieferstopp sei "in jedem Fall inakzeptabel". Es wird also nicht juristisch argumentiert. Was statt dessen zu hören ist, wirkt wie eine klare Ansage an Behörden und Politik – fast so, als stehe man über dem Gesetz.
Bisher waren es insgesamt 5 Meiler der Atomkraftwerke in Fessenheim, Cattenom und Doel, die von der Lingener Firma versorgt wurden. Ein Exportstopp entsprechend des Gutachtens würde somit nur diese Lieferungen betreffen. Wären die Einschnitte für die ANF also tatsächlich so dramatisch, wie von Herrn Reimann dargestellt? Frau Reiche, die danach gefragt wurde, verblüffte mit einer bemerkenswerte Antwort. Es handle sich bei "den diskutierten Kernkraftwerken um 13 Reaktorblöcke". Gleich mehrere Fragen drängen sich dazu auf: Wie kommt sie auf diese Zahl? Hat sie alle nahe der deutschen Grenze gelegenen Risikomeiler zusammegezählt, einschließlich der drei Reaktoren in Tihange? Und würde das nicht im Umkehrschluss bedeuten, dass die ANF-Fabrik oder eine andere AREVA-Tochter die gesamte Palette dieser "Schrottreaktoren" mit Brennstoff versorgt oder in Zukunft versorgen wird?
Wie dem auch sei, das Unternehmen hat sich einen umfangreichen Auftrag bereits amtlich absegnen lassen. Das zuständige BAFA erteilte im Frühjahr eine zwei Jahre gültige Ausfuhrgenehmigung für insgesamt 50 Brennelement-Transporte von Lingen zum AKW Doel. Das sind dreimal so viele wie sonst üblich. Vier dieser Transporte gingen im Juni bereits vonstatten.
Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen ist entsetzt. "Mit der Lieferung ermöglicht Hendricks den Weiterbetrieb eines Reaktorkomplexes, den sie selbst öffentlich kritisiert. Sie muss das BAFA schnellstens anweisen, diese Genehmigung zu widerrufen." Auf Dauer, so ist seine Einschätzung, wird Hendricks ihr widersprüchliches Handeln nicht aufrecht erhalten können. Hoffnung mache ihm vor allem der wachsende Widerstand. Das starke Netzwerk von Anti-Atom-Gruppen, in dem sich Eickhoff engagiert, hat bereits über 230 Unterstützerorganisationen für die "Lingen-Resolution" gewinnen können, und die Vorbereitungen zur großen Demonstation in Lingen am 29. Oktober laufen gut an. Politischer Druck von unten kann auf politischer Ebene Veränderungen anstoßen, die man vorher nicht für möglich hielt, davon ist er überzeugt.