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- auch in Deutschland

 

Grenznahe Uralt-Atommeiler wie in Fessenheim (Frankreich), Tihange (Belgien), Borsele (Niederlande) und Beznau (Schweiz) sind besonders bedrohlich für uns, doch auch die noch betriebenen deutschen AKW setzen uns einer Gefahr aus, die allgemein – sogar von manchen Atomkraftgegnern – unterschätzt oder verdrängt wird.
Wir glauben, mit dem sogenannten Atomausstieg habe sich das Risiko eines Super-GAUs in Deutschland verringert. Das mag in gewisser Hinsicht stimmen, doch die restlichen Atommeiler werden immer mehr zu tickenden Zeitbomben, falls uns nicht gelingen sollte, eine schnelle, vorzeitige Stilllegung herbeizuführen.

Atomkraftwerke waren schon immer gefährlich. Es gibt jedoch Faktoren, die sie in der heutigen Zeit besonders und in steigendem Maße unsicher machen.
Auf Grundlage der BUND-Studie zur Sicherheitslage deutscher AKW (2013) und anhand der Einschätzung zweier Atomexperten – Wolfgang Renneberg und  Lars-Olov Höglund – haben wir diese Faktoren aufgezählt (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):


Gefahr der Alterung

Ein Großteil der Störfälle und Mängel in Atomkraftwerken ist auf die Materialermüdung zurückzuführen. Der Alterungsprozess beginnt in der Regel nach 20 Jahren. Danach steigt die Risikokurve deutlich an, so dass mit jedem Jahr die Gefahr eines schweren Unfalls nicht nur ein bisschen zunimmt, sondern sich sogar verdoppeln kann. ("Mythos Atomkraft" S. 86). Tückisch ist vor allem, dass dann nicht nur die Anzahl der Störfälle steigt, sondern auch die graduelle Schwächung von Werkstoffen. Diese ist oft sehr schwer zu erkennen, besonders im Bereich des Reaktordruckbehälters. Dadurch kann es ohne vorherige Anzeichen zu einem plötzlichen, gravierenden Unfall kommen.
Bis in 90er Jahre hinein wurden in Europa Atomkraftwerke nach 20 oder spätestens nach 25 Jahren stillgelegt. Doch mit dem Einzug des neoliberalen Denkens gewannen ökonomische Aspekte die Vorherrschaft gegenüber Sicherheitsbedenken. Die Folge: Atomkraftwerke in Betrieb werden zunehmend älter und gefährlicher. 2009 erreichte diese Entwicklung in Deutschland eine neue Dimension: Insgesamt 10 Atommeiler waren länger als 25 Jahre in Betrieb, doppelt so viele wie noch sechs Jahre zuvor. Als 2011 die nukleare Katastrophe in Fukushima die Welt in Atom hielt, waren in Deutschland bereits 12 Reaktoren überaltert. Dass in den folgenden Monaten 8 von ihnen stillgelegt wurden, ist nüchtern betrachtet eine längst überfällige Maßnahme gewesen, nicht etwa eine Sensation.
Heute, im Jahr 2013, sind zwar deutlich weniger deutsche AKW in Betrieb, aber ihr Risikopotential ist enorm. Nächstes Jahr werden alle 9 Reaktoren älter als 25 Jahre sein. Wenn es beim deutschen „Atomausstieg“ bleibt und dieser nicht beschleunigt wird, dann werden die Meiler bei ihrer Stilllegung durchschnittlich knapp 35 Jahre auf dem Buckel haben. Grundremmingen C und Grohnde z.B. sollen bis zu 37 Jahren laufen.

 

Gefahr fehlende Sicherheitskultur


Dass man der Sicherheit in deutschen AKW höchste Priorität einräumt, ist immer weniger der Fall. Doch es ist ein entscheidender Faktor zur Vermeidung von Unfällen. Nachlässigkeiten, fehlendes Sicherheitsbewusstsein, sinkende Motivation – all dies tritt sowohl in der Bedienungsmannschaft als auch im Management auf, und in der Regel greifen die Aufsichtsbehörden zu wenig ein.
„Die meisten Verstöße gegen die Sicherheitskultur gelangen nie an die Öffentlichkeit“, so heißt es in der BUND-Studie. Noch gravierender ist, dass die meisten Verstöße gar nicht entdeckt werden, sondern „sich erst im Falle eines Störfalls negativ bemerkbar machen“.

Gefahr „ökonomischer Druck“

Fehlende Sicherheitskultur wurzelt auch in dem, was man „Ideologie des Marktes“ nennen könnte. Wie schon angedeutet machte sich das neoliberale Denken und die Mentalität purer Gewinnmaximierung vor allem bei Energiekonzernen breit. Hinzu kam die Liberalisierung des deutschen Strommarktes, wodurch ökonomische Aspekte zusätzlich in den Vordergrund traten.
Der unerwartet hohe Anteil von grünem Strom in letzter Zeit bringt die Konzerne geradezu in Bedrängnis – wenn man ihnen Glauben schenken will. Damit rückt die Sicherheit noch mehr in den Hintergrund.
Da heute (zum Glück) kaum noch AKW gebaut werden, fehlt in Europa hochqualifiziertes Personal, das moderne Sicherheitsstandards gewährleisten könnte. Der Fachkräftemangel in der Atomindustrie ist allgemein zum Dauerproblem geworden.

Gefahr „flexibler“ Betrieb

2011 warnte „Report Mainz“ vor den Gefahren eines flexiblen Betriebs deutscher Atomkraftwerke und berief sich damit auf eine Studie von Wolfgang Renneberg, dem früheren Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium. Die Beschaffenheit der Erneuerbaren Energien erfordert ein schnelleres Hoch- und Runterfahren von Großkraftwerken. Doch AKW sind dafür nicht gemacht. Der „Lastfolgebetrieb“ versetzt sie in Dauerstress, wodurch es schneller zu „Materialermüdung, Korrosion und Rissen“ kommt.

Gefahr Klimawandel

Nach Fukushima wurde in Deutschland und Europa der Einfluss äußerer Faktoren auf Atomkraftwerke genauer untersucht und dahingehende Sicherheitsmängel aufgezeigt. Die deutschen AKW sind unzureichend gegen Erdbeben, Hochwasser, Überflutung oder extreme Wetterereignisse geschützt. Letzteres wurde bei der Auslegung der Reaktoren nicht einmal in Erwägung gezogen. Dabei können „extrem starke Regenfälle Hochwassersituationen weiter verschlimmern oder hohe Außentemperaturen zum Ausfall von stark beanspruchten Systemen in ungekühlten Räumen führen.“ Solche Ereignisse werden durch den Klimawandel jedoch vermehrt und intensiver auftreten.

Gefahr durch Terroranschläge

Deutsche Atomkraftwerke sind gegen Terroranschläge – wie einem gezielten Flugzeugabsturz, Bodenangriffe oder Cyberattacken – nicht ausreichend geschützt. Dass solche Angriffe möglich sind und in Betracht gezogen werden müssen, formuliert inzwischen auch das BKA. 2009 räumte das BMU indirekt ein, dass der einzige Schutz vor Terroranschlägen auf AKW darin besteht, diese stillzulegen.

Zusammengenommen machen all diese Gefahren deutsche Atommeiler so unsicher wie selten zuvor, und mit jedem Tag, den sie länger am Netz bleiben, verschärft sich diese Lage.


06.03.2013, Anika Limbach