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Zwei neue Reaktoren beim englischen Atomkraftwerk Hinkley Point (Südwest-England) sind der verzweifelte Versuch der britischen Regierung, weiter auf Atomkraft zu setzen. Warum ist das so und was hat das mit Bonn zu tun? Eindrücke von einer Radtour vor Ort.

von Herbert Hoting und Jens Koy, antiatombon
(Artikel aus der BUZ November / Dezember 2015)

Der Norden der Grafschaft Somerset gehört zu den extrem dünn besiedelten Regionen in Südengland, hügelig, landwirtschaftlich geprägt, eher
verschlafen. Wer an der Küste entlang radelt, würde nie erwarten, hier auf die größte AKW-Baustelle Europas zu stoßen - Hinkley Point C.

 

Im Mai 2014 gab die britische Regierung grünes Licht für die vorbereitenden Arbeiten zur Errichtung von zwei neuen Atomreaktoren mit einer Gesamtleistung von 3200 MW, gleich neben zwei abgeschalteten Reaktoren und zwei noch laufenden Blöcken mit der Bezeichnung Hinkley Point A und B. Seitdem ist eine komplette Landschaft eingezäunt, werden Hügel einplaniert und Täler aufgefüllt. Gigantische Baufahrzeuge stehen zu Dutzenden in Reih und Glied, permanent bewacht von einer Heerschar an Sicherheitspersonal. Für tausende von Arbeitern muss eine Containerstadt errichtet werden, die dafür nötigen Straßen sind zum Teil schon fertiggestellt.

Protest aus der Bevölkerung gibt es wenig, man sieht hier vor allem die Aussicht auf sichere Arbeitsplätze für mindestens 10 Jahre in einer ansonsten strukturschwachen Region. Hoffnung macht die Initiative „Stop Hinkley“, die aktiv gegen den Ausbau des Atomkraftwerks Hinkley Point arbeitet. Das erfahre ich von Wanda Ring, eine Anti-Atom-Aktivistin, die einmal im Monat, jeweils zum Vollmond, für ein bis zwei Tage ein Frauen-Protestcamp in der Nähe der Einfahrt zum AKW-Gelände organisiert. Die "Witch Women Watch Group" will damit zeigen, dass es auch Gegnerschaft gibt und ist überzeugt: das gesamte Projekt wird scheitern, allein an den gigantischen Investitionssummen und den permanenten Verzögerungen in derbisherigen Planungsphase und der zukünftigen Bauzeit. Die bisherige Entwicklung scheint ihnen Recht zu geben: die Betriebsbereitschaft ist bereits von anfänglich 2017 auf heute 2025 verschoben worden.

Beispiellose Atom-Subventionen

Um der Betreiberfirma Électricité de France (EdF) den Bau von Hinkley Point C schmackhaft zu machen, sagte die britische Regierung eine
Vielzahl von Subventionen zu, ohne die ein Reaktorneubau heutzutage nicht rentabel wäre. Um nur zwei davon zu nennen:

  • über 35 Jahre wird dem Betreiber EdF ein fester Preis pro kWh von 11 Cent garantiert, dazu gibt es einen Inflationsausgleich, der dafür sorgt, dass selbst bei einer moderaten Inflation von 2%  im letzten Jahr des Garantiezeitraumes ein Preis von etwa 35 Cent pro kWh zu zahlen ist, das 10-fache des heutigen Börsenpreises.
  • Für die erforderlichen Kredite von über 21 Mrd EUR übernimmt der britische Staat eine Bürgschaft. Bleibt das Bauvorhaben eine Bauruine, zahlt der britische Steuerzahler.


Brüssel winkt durch,
Wien klagt,
Berlin schweigt

Subventionen in diesen astronomischen Höhen verstoßen gegen europäisches Wettbewerbsrecht. Brüssel sieht das offenbar anders und hat nach kurzem Zögern dem Deal zwischen britischer Regierung und EdF zugestimmt. Als einziger EU-Staat hat jetzt Österreich Klage gegen die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof eingereicht, unterstützt von Luxemburg. Auch eine Vielzahl von Ökostromanbietern und Stadtwerken in Deutschland haben Beschwerden eingereicht. Die Bundesregierung hingegen sieht keinen Handlungsbedarf. Auch der Bonner MdB Ulrich Kelber lehnt eine Klage ab (siehe Dokumentation im rechts).

Das Vorhaben Hinkley Point steht auf der Kippe: Die vom französischen Staat kontrollierte Betreiberfirma EdF musste auf Entscheidung der französischen Regierung Mitte des Jahres den französischen Atomkraftwerk-Bauer AREVA zu großen Teilen übernehmen. AREVA hat seit 2011 7 Mrd. Euro Verlust erwirtschaftet und stand vor der Pleite. Wenn die Risiken und Kosten für den Bau und Betrieb der neuen Atomreaktoren in Hinkley Point weiter steigen, kann es sein, dass das Angebot zurückgenommen muss.  Augen-zu-und-durch ist die aktuelle Devise in der französischen und britischen Atompolitik. Von daher ist es wichtig, Zeit zu gewinnen und den gesellschaftlichen Druck gegen Atomkraft und für erneuerbare Energien in beiden Ländern zu stärken.

Präzedenzfälle wie Hinkley Point verhindern

Was hat Hinkley Point mit Bonn zu tun? Die Atomindustrie arbeitet fieberhaft am Bau neuer Atomkraftwerke in Europa. Derzeit sind die Ergebnisse teuer und desaströs: Das französische Flamanville-3-AKW ist neben dem finnischen Projekt Olkiluoto-3 das „Vorzeigeprojekt“ für den Europäischen Druckwasserreaktor EPR des französischen Reaktorbauers Areva, das von Anbeginn an in massive technische und finanzielle Schwierigkeiten geriet – und jetzt trotzdem für das britische Atom-Projekt Hinkley Point C vorgesehen ist.
Daher ist es sehr wichtig, Präzedenzfälle wie Hinkley Point C zu verhindern, die zu weiteren Neubauten von AKWs führen können. Derzeit sind immer noch 10 Neubauten von Atomkraftwerken in Großbritannien vorgesehen. Mit dem Verweis auf Co2-Einsparungen wird auf Kosten zukünftiger Generationen in die gesundheitsschädlichste Form der Stromproduktion investiert.

Was können wir in Bonn tun? Als antiatombonn unterstützen wir die Kampagne der „Stromrebellen“ bei ElektizitätsWerke Schönau (EWS). Am 26.11.2015 überreichte die EWS fast 180.000 Beschwerden gegen Hinkley Point an die zuständigen Kommissare in Brüssel. Als antiatombonn werden wir die Reaktionen verfolgen und uns weiter gegen den Bau des Atomkraftwerks Hinkley Point C einsetzen. Der Kampf gegen Hinkley Point geht an den Nerv der französischen und britischen Atompolitik, die seit ein paar Jahren ins Wanken geraten ist. Nutzen wir die Chance. Ein Plan ist auch, verstärkt mit den Aktiven in England zusammenzuarbeiten. Eine spannende Angelegenheit, die gerne auch durch neue MitstreiterInnen unterstützt werden kann. Antiatombonn trifft sich normalerweise einmal im Monat (siehe Informationen auf unserer Internetseite) oder ist per Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! erreichbar.

Mehr Informationen unter: www.antiatombonn.de , www.ews-schoenau.de/kampagne und www.stophinkley.org