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Analyse und Kommentar

von Anika Limbach

Dass E.ON erneut den Vorschlag eines "Atomfonds" einbringt, ist die Neuauflage eines Erpressungsversuchs. Es wäre fatal, wenn die Regierung darauf einginge. Die Atom-Rückstellungen der Stromkonzerne werden nicht einmal die Hälfte der Gesamtkosten für Rückbau und Entsorgung abdecken. Den Rest müsste der Steuerzahler schultern. Selbst die Mehrkosten für den zusätzlichen, jetzt noch entstehenden Atommüll werden wohl höher sein als das, was durch Atomstrom noch zu verdienen ist. Die AKW sollten also sofort abgeschaltet werden – auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht.

 

E.ON will Veranwortung für seine Altlasten auf den Staat abwälzen

Jahrzehntelang haben die Energiekonzerne durch abgeschriebene Atomkraftwerke satte Gewinne eingefahren. Nicht nur das: Allein die Steuerfreiheit ihrer Atomrückstellungen bescherte ihnen zwischen 1970 und 2014 zusammengenommen 79 Mrd. €. Ihre Rückstellungen (von 36 Mrd. €) für Müllentsorgung und Abriss der AKW betragen nicht einmal die Hälfte dieser Summe. Für ihren Zweck reichen sie bei Weitem nicht aus. In einer neuen, vom BUND in Auftrag gegebenen Studie des FÖS-Instituts wurde für Rückstellung, Stilllegung und Entsorgung eine Gesamtsumme von 48 Mrd. € errechnet. Doch auch diese Studie legt einen zu niedrigen Risikoaufschlag zu Grunde. (Genauere Ausführung in der Langfassung). Es könnte durchaus drei mal so teuer werden.
Das wird die Konzernspitze von E.ON wohl geahnt haben. Denn in diesem Jahr ließ sie nichts unversucht, um einen möglichst großen Teil ihrer nuklearen Altlasten auf den Staat abzuwälzen. Ihre milliardenschwere Klage gegen die Bundesregierung ist dabei nur ein Mittel, um den Staat wirkungsvoller erpressen zu können. Ihr eigentliches Ziel ist das, worüber im Sommer geheim verhandelt wurde, bis die Presse Wind davon bekam: Der Staat soll die noch laufenden AKW bis zum "Atomausstieg" weiter betreiben und komplett für Abriss und Müllentsorgung aufkommen. Im Gegenzug würden die Stromkonzerne ihre Schadensersatzklagen fallen lassen und die 36 Mrd. € Rückstellungen in einen "Atomfonds" einzahlen – sozusagen als Trostpflaster.
E.ON-Chef Teyssen besaß Anfang der Woche die Unverfrorenheit, diesen Vorschlag erneut einzubringen – dieses Mal offiziell.
Eine andere Variante, sich aus der Verantwortung zu stehlen, ist die Anfang Dezember angekündigte Aufspaltung von E.ON. Mit einer "Neuausrichtung" des Konzerns hat das nur wenig zu tun. Denn die neu gegründete Gesellschaft – de facto eine "Bad Company" – könnte in nicht allzu langer Zeit pleite gehen. Dann wären selbst die mageren Rückstellungen hinfällig.

An der sofortigen Abschaltung der AKW führt kein Weg vorbei

Je deutlicher die wahren Entsorgungskosten zutage treten, desto absurder wird außerdem, dass ausgerechnet der Weiterbetrieb von Atomkraftwerken dazu dienen soll, die Rückstellungen zu erhalten bzw. zu erwirtschaften. Schließlich produzieren sie dabei weiteren hochradioaktiven Müll – bis 2021/2022 zwischen 12 und 15 Prozent mehr als das, was sich bisher angesammelt hat. Die dadurch entstehenden zusätzlichen Kosten könnten die Gewinne der laufenden AKW sogar noch übersteigen. Allein daraus ergibt sich schon die Konsequenz, alle Atommeiler sofort abzuschalten. Die technischen Voraussetzungen dafür haben sich in den letzten Tagen nochmal verbessert. Die Süddeutsche Zeitung berichtet von einem "verlockenden Angebot" des österreichischen Energieversorger Verbundes: Der jederzeit abrufbare Strom bestimmter Wasserkraftwerke in der Größenordnung von 5,2 GW könnte den bayrischen Atomstrom sofort ersetzen. Damit müsste Bayern nicht einmal den hohen Stromexport drosseln.

Noch schwerer als das finanzielle und wirtschaftliche Argument wiegt die Tatsache, dass der Betrieb der noch laufenden deutschen AKW aus verschiedenen Gründen immer gefährlicher wird. Bereits vor einem Jahr haben wir in einem langen Artikel darauf hingewiesen.
Mit der Bildung einer Bad Company würde sich außerdem der ökonomische Druck erhöhen, was fast immer zulasten der Sicherheit geht.

Untätigkeit der Politik verschlimmert die Lage

Zurecht wirft die Opposition der Regierung schwere Versäumnisse vor, denn die Bildung eines "Zukunftsfonds" (nicht zu verwechseln mit dem Atomfonds, den E.ON vorschlägt) oder eine andere Art der Insolvenzsicherung von Rückstellungen hätte längst auf den Weg gebracht werden sollen. Je länger die Untätigkeit andauert, desto wahrscheinlicher wird, dass die notwendigen Gelder wegen drohender Insolvenzen nicht mehr eingetrieben werden können. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Rückstellungen für die Zukunft zu sichern. Welches Konzept auch immer verfolgt wird – sofern es denn endlich verfolgt wird – es sollte diese Punkte gewährleisten:

  • Das Verursacherprinzip muss bis zum Ende gelten, die Energiekonzerne dürfen sich nicht "freikaufen"
  • Die Mutterkonzerne müssen zeitlich unbegrenzt für die Altlasten ihrer Tocherfirmen aufkommen
  • Die Höhe der Rückstellungen muss von unabhängiger Stelle geschätzt und die Zahlen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Es muss gewährleistet sein, dass die Gelder  (insg. in Höhe der geschätzten Summe plus der unerwarteten, zusätzlichen Kosten) dann zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden
  • Das Problem der Atommüllentsorgung birgt so viele Unwägbarkeiten, dass es nicht noch vergrößert werden darf. Somit ist der Betrieb aller Atomanlagen einzustellen.
akualisiert 09.12.2014, Anika Limbach
 

Hier ist die Langfassung abrufbar.

Eine Variante der Langfassung ist im klimaretter veröffentlicht worden.