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Ecodefense Von Beuel nach Novouralsk. Aktivisten von "Ecodefense" aus Russland berichten von ihrer Arbeit

Bonn und Russland haben mehr miteinander zu tun, als es die Entfernung vermuten ließe - zumindest im Energiebereich. Während durch Bonner Leitungen in Zukunft vermehrt Erdgas des Gazprom-Konzerns strömen dürfte, wird Russland gleichzeitig zum Ziel von deutschen Atommüllexporten. Eine Renaissance der Atomenergie - wie vom letzten G8-Gipfel in Sankt Petersburg beschworen - macht sich auch in Bonn durch mehr Atomtransporte bemerkbar. BUND Bonn, Anti-Atom-Gruppe Bonn und das Oscar-Romero-Haus laden darum am 26. März 2007 ab 19.30 Uhr zu einem internationalen Infoabend mit Vertretern der russischen Umweltorganisation "Ecodefense" ein.  Vladimir Slivyak und Andrey Ozharovsky, Ko-Vorsitzende von "Ecodefense", beantworten außerdem ab 18.30 Uhr bei einem Pressegespräch in der Galerie des Kult41 Fragen von Journalisten.

Wer ist Ecodefense ?

Die Nichtregierungsorganisation Ecodefense arbeitet seit 10 Jahren in Russland zu Energie- und Atomthemen. Zur Zeit konzentriert sich Ecodefense auf die illegalen Importen von radioaktivem Abfall aus der deutschen Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau. Ecodefense baut in den betroffenen russischen Orten, in die der deutsche Uranmüll gebracht wird, lokale Bürgerinitiativen auf. Gemeinsam mit AtomkraftgegnerInnen in ganz Europa organisiert Ecodefense den Widerstand gegen die Urananreicherung.

Vladimir Slivyak und Andrey Ozharovsky berichten am Montag, den 26. März 2007 ab 19.30 Uhr im Kult41 (Hochstadenring 41) über die schwierige Arbeit unabhängiger Umweltorganisationen unter Putin. Slivyak und Ozharovsky decken die Wege der Billig"entsorgung" von Atommüll aus Deutschland in Russland auf. Sie stellen ihre Aktivitäten gegen wilde Atommüllkippen vor und berichten über die Situation in den Geschlossenen Atomstädten Sibiriens. Die Urananreicherungsanlagen in Novouralsk (bei Jekaterinburg) und Seversk (bei Tomsk), Ziel der deutschen Uranexporte, liegen wie zu Sowjetzeiten in vom Militär abgeschirmten Städte, in denen rund 100.000 Menschen hinter Stacheldraht leben. Die Umweltsituation dort ist katastrophal.

Deutsch-russische Aktivitäten gegen Atomtransporte

Nach internationalen Anti-Atom-Camps in Russland gab es 2006 eine russisch-deutsche Protestaktion vor der Deutschen Botschaft in Moskau. Seit mehreren Jahren beobachten und blockieren deutsche und niederländische AtomkraftgegnerInnen die Urantransporte aus den Urananreicherungsanlagen (UAA) in Gronau/Westf. und Almelo/Niederlande. Ecodefense erstattete im November 2006 bei der Staatsanwaltschaft Münster Strafanzeige gegen die Urenco Deutschland GmbH (Betreiberin der UAA Gronau) wegen des Verdachts auf illegalen Atommüllexport von Gronau nach Russland. In den vergangenen zehn Jahren exportierte die Urenco rund 20.000 t abgereichertes Uranhexafluorid von Gronau nach Russland.

Was hat das mit Bonn zu tun?

Monatlich fahren hochgiftige Güterzüge mit Uranhexafluorid durch Bonn-Beuel. Ziel ist die Urananreicherungsanlage der Urenco-Gruppe im westfälischen Gronau, wo das Uran zur Herstellung von Brennelementen für Atomkraftwerke angereichert wird. Die Reste werden regelmäßig nach Russland gebracht.

Skandalös sind aber nicht nur die enormen radiologischen und chemischen Gefahren dieser Transporte, sondern die Erweiterung der Gronauer Anlage. Diese wird schon im nächsten Jahr weltweit mehr als 35 Atomkraftwerke mit Brennstoff versorgen und damit ihre Kapazitäten fast verdreifachen. Die Anti-Atom-Gruppe Bonn engagiert sich zusammen mit dem BUND Bonn gegen diese Renaissance der Atomkraft. Geplant ist eine vertiefte Zusammenarbeit mit russischen AtomkraftgegnerInnen, die Unterstützung und Solidarität verdient haben, sitzen sie doch am langen Ende des nuklearen Rattenschwanzes, der auch durch Bonn verläuft.

 

Rückfragen bitte an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder Tel. 0228-443846.

Die Veranstaltung wird organisiert von der Anti-Atom-Gruppe Bonn, dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Bonn und dem Oscar-Romero-Haus Bonn.

Ort: Kult 41, Hochstadenring 41, Bonn

Wann: Montag, 26. März 2007, 19.30 Uhr

Deutsch-russische Atomtransporte und Ecodefense, Hintergrundinformation, 12. März 2007

Pressemitteilung "Im Tal der Ahnungslosen?" , 31. Januar 2007

Video Urantransport Pierrelatte - Gronau, 07. Dezember 2006

Radiobericht Deutsch-russische Aktion gegen Atomtransporte in Moskau, Deutschlandfunk, 12. Oktober 2006 

Radiointerview zu Urantransporten durch Bonn, 12. August 2006, gesendet in Radio Bermudafunk/Radio Dreyeckland

BUND Bonn Oscar-Romero-Haus

Interview, Die Tageszeitung, 11. November 2006 

"Illegal und lebensgefährlich"

taz: Frau Parshina, Herr Sliviak, am Donnerstag haben Sie bei der Staatsanwaltschaft Münster Strafanzeige gegen den Gronauer Urananreicherer Urenco gestellt. Warum?

Vladimir Sliviak: Weil die Atommülltransporte von Gronau nach Russland lebensgefährlich und damit illegal sind. Wir, die russischen Umweltschützer von Ecodefense, wollen auch in Deutschland strafrechtlich gegen Urenco vorgehen - genau wie in Russland.

Die Transporte mögen gefährlich sein. Aber sind sie deshalb illegal?

Sliviak: Der Import von Atommüll bricht russisches Recht. Außerdem - und das wäre besonders für die deutschen Behörden interessant - könnte Urenco in einen aktuellen Bestechungsfall verwickelt sein. Immerhin steht gerade sogar der ehemalige russische Atomminister Jewgenij Adamow vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, von der US-Regierung zur Verfügung gestelltes Geld unterschlagen zu haben, das zur Sicherung der maroden russischen Atomanlagen dienen sollte.

Und was hat die Urenco - immerhin Tochter der großen Energieversorger RWE und Eon - damit zu tun?

Sliviak: Das russische Umweltgesetz verbietet illegale Müllentsorgung. Das gilt natürlich erst recht für den Import von Atommüll in großem Stil. Der Prozess gegen den Ex-Atomminister zeigt doch, wie korrupt selbst hochrangige Vertreter der russischen Atomlobby sind. Wir von Ecodefense halten es für durchaus denkbar, dass auch die Urenco Schmiergelder gezahlt hat - oder bis heute zahlt.

Was genau geschieht denn in Russland mit dem Atommüll aus Gronau?

Sliviak: Nur ein kleiner Teil - wir schätzen etwa zehn Prozent - wird durch Wiederanreicherung aufbereitet und geht dann zurück nach Deutschland. Der Rest bleibt in den Atomanlagen von Sewersk nahe dem sibirischen Tomsk oder in Novouralsk bei Jakaterinburg am Ural.

Und wird dort wie gelagert?

Parshina: Unter freiem Himmel. Atommülllager wie in Deutschland existieren nicht. Die mit den Gronauer Uranhexafluorid gefüllten Fässer stehen einfach herum und rosten vor sich hin.

Woher wissen Sie das?

Parshina: Von ehemaligen Mitarbeitern der Atomfabriken. Diese ehemaligen Kombinate unterstehen bis heute dem Militär, deshalb ist es für uns sehr schwierig, an Informationen zu kommen. Die offiziellen Stellen jedenfalls geben nichts heraus - fast wie zu sowjetischen Zeiten, als das Atomprogramm Staatsgeheimnis war. Heute aber reden manche der ehemaligen Mitarbeiter dieser Atomkombinate. Nur deshalb wissen wir von den vielen verschiedenen Unfällen, bei denen Radioaktivität ausgetreten ist.

Mit welchen Folgen?

Parshina: Bei dem bisher letzten großen Störfall ist meine Heimatstadt Tomsk einer Katastrophe nur knapp entkommen. Gerettet hat die 500.000 Einwohner nur der Wind: So zog die radioaktive Wolke aus der Atomfabrik Sewersk nur über dünn besiedeltes Gebiet.

Und verstrahlte die Menschen dort?

Sliviak: Ja. Die durchschnittliche Lebenserwartung in der Region Tomsk beträgt nur 48 Jahre. Halten Sie das für normal?

Parshina: Die völlig unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen sind unser größtes Problem: Gronauer Atommüll wird in Sewersk in Fässern unter freiem Himmel, anderer Atommüll auch unterirdisch gelagert. Es gibt aber auch offene Becken mit radioaktiver Flüssigkeit. Die sind bereits übergelaufen und haben den Fluss Romaschka verstrahlt.

Und was geschieht zum Schutz der Anwohner?

Parshina: Nichts. Die Romaschka fließt in Tomsk in den Fluss Tom, der ins Nordmeer mündet. Was noch schlimmer ist: In den Dörfern dient der Fluss Tom noch immer zur Trinkwassergewinnung. Offiziell ist das natürlich verboten - aber die Menschen trinken das Wasser einfach und essen natürlich auch Fisch, den sie in der Romaschka und im Tom gefangen haben.

Dann müsste doch auch die Zahl der missgebildeten Kinder größer werden.

Sliviak: Um die Atomkombinate herum steigt die Zahl der Missbildungen, das ist offensichtlich. Offizielle Statistiken gibt es dazu aber nicht. Dabei können wir nur beobachten, was sich außerhalb der mit Stacheldraht gesicherten Atomfabriken abspielt. Unter den Mitarbeitern dürften Schädigungen des Erbguts noch häufiger sein, nur fehlen uns die Informationen: Die Kombinate sorgen selbst für die medizinische Versorgung ihrer Mitarbeiter - und die dort angestellten Ärzten sprechen nicht mit uns.

Und Sie sind sicher, dass das Uranhexafluorid der Gronauer Urenco wirklich in Tomsk gelagert wird?

Sliviak: Ja. Offizielle der russischen Atomagentur Rosatom bestätigen in aller Öffentlichkeit, dass der Atommüll aus Gronau nach Sewersk bei Tomsk und nach Novouralsk bei Jekaterinburg geht.

Parshina: Was in der Logik der russischen Atomindustrie auch Sinn macht: Novouralsk ist die größte Urananreicherungsanlage, Sewersk die größte Plutoniumfabrik Russlands. Deshalb finden sich in der Romaschka auch Spuren von nicht nur radioaktivem, sondern auch hochgiftigem Plutonium.

Ihr Protest dürfte von offizieller Seite nicht gern gesehen werden. Wie gefährlich ist es, in Russland gegen Atommüllimporte zu protestieren?

Parshina: Ich habe größere Angst vor radioaktiver Verseuchung als vor unserer Regierung.

Dennoch: Wie groß ist der Druck auf Sie? Sind Sie Repressionen ausgesetzt?

Sliviak: Nun, ins Gefängnis sind wir noch nicht gesteckt worden...

Parshina: ...obwohl selbst das Fotografieren der Züge mit dem deutschen Atommüll mit bis zu 20 Jahren Haft bestraft werden kann. Schließlich gelten die Atomkombinate noch immer als militärisches Sperrgebiet.

Druck kann aber auch anders aussehen: Wird juristisch gegen Sie vorgegangen? Werden Strafzahlungen gegen Sie verhängt?

Sliviak: Da gehen die russischen Sicherheitsbehörden schon direkter vor. Schon 1999, nach dem ersten Terroranschlag auf die Moskauer Metro, bin ich beim Verlassen meiner Wohnung von Mitarbeitern des KGB-Nachfolgers FSB festgenommen und in einem Auto stundenlang verhört worden - ohne offizielles Dokument, ohne Richterbeschluss, versteht sich. Freigelassen hat mich der Geheimdienst erst, als sich Nachbarn einmischten: Die FSB-Leute waren in Zivil.

Und warum hat der FSB ausgerechnet Sie verhaftet?

Sliviak: Das habe ich auch nicht verstanden. Als Umweltschützer galt ich wohl generell als verdächtig. Deshalb habe ich die auch gefragt: Was hat Umweltschutz mit Terrorismus zu tun? Dennoch wurden auch andere Aktivisten von Ecodefense genauso festgenommen und verhört.

Wirkt solche Einschüchterung? Erhalten Sie weniger Unterstützung?

Sliviak: Es ist ein Unterschied, was die Leute denken und was sie tun, zumindest in Russland. Die Regierung Putin redet den Menschen ein, sie hätten sowieso keinen Einfluss. In Umfragen spricht sich aber eine überwältigende Mehrheit von 70 Prozent der Russen gegen neue Atomkraftwerke zumindest in der Nähe ihres Wohnorts aus. Ein größeres Problem sind die Medien: Lokal gibt es noch so etwas wie freie Berichterstattung, da kommen Journalisten zu unseren Aktionen. Auf nationaler Ebene aber sind Zeitungen und Fernsehsender längst wieder auf Regierungslinie: Die versuchen, uns einfach totzuschweigen. Die Zahl unserer Unterstützer wird dennoch täglich größer.