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EPR: Überflüssig wie ein Kropf

Ni ici, ni ailleurs - weder hier, noch anderswo! 10.000 Menschen hatten die Organisatoren erwartet – dreimal so viele kamen am Ostersamstag trotz strömenden Regens nach Cherbourg. An der Europäischen Demonstration gegen den Bau eines neuen Atomreaktors an der französischen Atlantikküste nahmen auch mehrere Bonner teil, die sich mit befreundeten Initiativen aus dem Wendland und Münsterland auf die zwölfstündige Reise gemacht hatten. Der Weg hatte sich gelohnt: Der Erfolg der Anti-Atom-Bewegung, überraschte Politik und Medien in der französischen „nucléocratie“. Es gibt Hoffnung, dass der von der deutsch-französischen Areva-Gruppe seit 2003 angekündigte Europäische Druckwasserreaktor EPR nun endlich in der breiten Öffentlichkeit hinterfragt wird. Eine echte energiepolitische Debatte hatten bisher weder Regierung noch der Stromversorger EDF gewünscht.

Eine der größten Demonstrationen der letzten Jahre

José Bové, Didier Anger, Corinne Lepage, Dominique Voynet und Noel Mamère führen den Demonstrationszug anNeben dem französischen Netzwerk für den Atomausstieg, das rund 700 Gruppen und Verbände umfasst, hatten mehrere Gewerkschaften, Parteien und Organisationen aus ganz Europa zu der Demonstration aufgerufen. Die Region um Cherbourg gehört mit der Plutoniumfabrik La Hague, dem AKW Flamanville und dem Atom-U-Boot-Basis zu einer der Hochburgen der Atomindustrie. Der überwiegende Teil der Demonstranten war daher oft weit angereist.

Auch in der Normandie regt sich jedoch zunehmender Protest gegen die Ausbaupläne. Neben den Atomtransporte von La Hague in die ganze Welt stößt der Bau von neuen Hochspannungsleitungen vor allem bei Landwirten auf Widerstand. Es ist nicht auszuschließen, dass sich hier eine gewissen Eigendynamik entwickelt. So kündigte José Bové, einer der Anführer der Bauerngewerkschaft Confédération Paysanne, Aktionen des zivilen Ungehorsams an, sollten neue Strommäste errichtet werden für den Export des Atomstroms aus der Normandie. Mit der Demontage von Baustellen habe man schließlich Erfahrung, merkte Bové an, der 1998 mit dem Rückbau einer Fast-Food-Filiale weltweit bekannt wurde.

Überflüssig wie ein Kropf

Le nucléaire tue - Atomkraft tötetIst der EPR überhaupt so dringend notwendig, wie seine Befürworter behaupten? Das französische Netzwerk für den Atomausstieg hat von einem lokalen Ingenieurbüro kalkulieren lassen, welche Projekte und Maßnahmen im Bereich Erneuerbare Energien und Energieeffizienz in der Region umgesetzt werden könnten mit den 3 Mrd. Euro Investitionen, die für den EPR bereitgestellt werden. Im Ergebnis könnten dezentrale Kraftwerkskapazitäten geschaffen werden, die mit 22,6 TWh jährlich doppelt so viel Strom produzieren würden wie der EPR. Während die Baustelle des EPR zeitlich befristet maximal 2300 Menschen Arbeit geben würde und dauerhaft nicht mehr als 250 bis 300 feste Arbeitsplätze geschaffen würden, erwartet die Studie über 10.000 neue dauerhafte Arbeitsplätze im Bereich Erneuerbare Energien und Energieeffizienz in der Normandie und Bretagne. Damit wären noch längst nicht alle Potenziale der Erneuerbaren im Nordwesten Frankreichs ausgeschöpft. Zum Vergleich: In Deutschland ist die Zahl der Beschäftigten in der Branche der Erneuerbaren allein im letzten Jahr von ca. 150.000 auf nun 170.000 gestiegen.

Wer will überhaupt den EPR?

Landesweit sind nach einer jüngsten Umfrage der Europäischen Kommission nur 8 % der Franzosen für einen Ausbau der Atomenergie. Demgegenüber wirkt die energiepolitische Tagesordnung der Regierung geradezu grotesk: Nicht die Entscheidung über die Versorgungsstrukturen der nächsten Jahre steht im Mittelpunkt, nicht der Klimaschutz oder die Bedingungen deregulierter Energiemärkte, sondern allein die Frage, wann und wie schnell ein neues Atomkraftwerk gebaut wird. Die Selbstverständlichkeit, mit der hier vollendete Tatsachen geschaffen werden sollen, lässt das Kräfteverhältnis von Nuklearlobby und AtomkraftgegnerInnen erahnen. Ohne Parlamentsdebatte oder öffentliche Anhörungen wurde der Standort Flamanville bei Cherbourg ausgewählt.

accordeon.jpgDie Koalition der EPR-Befürworter suggeriert die Notwendigkeit einer dringenden energiepolitischen Weichenstellung: Schliesslich müsse umgehend mit dem Ersatz des Kraftwerksparks begonnen werden, der sich dem Ende seiner Betriebsdauer nähere. Die 58 Reaktoren hatten 2005 ein Durchschnittsalter von 20 Jahren erreicht. Ohne die Genehmigung der Aufsichtsbehörde CEA abzuwarten, war Electricité de France (EdF) erst 2003 anlässlich seiner Bilanz-Pressekonferenz schon von einer Verlängerung der Betriebsgenehmigung seiner Reaktoren von 30 auf 40 Jahre ausgegangen. Dank der rechnerisch verlängerten Abschreibezeiten konnte der Konzern nicht nur seine Verluste durch Beteiligungen in Italien und bei der EnBW ausgleichen. Der älteste Reaktor, das 1977 ans Netz gegangene AKW Fessenheim, würde somit noch mindestens bis 2017 Strom produzieren dürfen.

Eine Beschäftigungsmassnahme für Kraftwerksbauer

Selbst das von der Regierung einberufene "unabhängige" Beratergremium, ausnahmslos mit Atomkraftbefürwortern besetzt, sieht gegenwärtig keine Eile für den Bau des EPR. Wer angesichts von Überkapazitäten im Umfang von 40 %, d.h. von ca. zehn Reaktoren, den nationalen Energienotstand ausruft, muss andere Gründe haben. Hélène Gassin von Greenpeace Frankreich: "Die einzige wirkliche Dringlichkeit scheint es zu sein, die Auftragsbücher von Areva zu füllen."

Struktur Areva-GruppeIm Areva-Konzern sind seit 2000 nicht nur Cogéma und Framatome-ANP, sondern auch die beinahe vollständige nukleare Produktionskette unter einem Dach vereint, von der Urananreicherung und Brennelementefertigung über den Kraftwerksbau bis zur Wiederaufarbeitung. Haupteigner ist mit 79 % die staatliche CEA, weitere Anteile hält die 2004 teilprivatisierte EDF, der grösste Energiekonzern der Europäischen Union. Für dieses kapitalintensive Konglomerat ist der baldige Bau des EPR ein entscheidender Vorteil beim Wettbewerb um mögliche Abnehmer, vor allem in Asien: "Dies ist eine industrielle, keine energiepolitische Entscheidung", so Yves Cochet, der ehemalige grüne Umweltminister. Als Exportvitrine dient der EPR dem Areva-Gruppe zur Behauptung als nuklearer Weltmarktführer und als gigantische Arbeitsbeschäftigungsmassnahme zugleich.

Innenpolitisch wird die Kampagne für den EPR mit den üblichen Versprechungen geschmückt: Die Befürworter sind sich nicht zu schade, den Reaktor als "zehnmal sicherer" zu loben - wie unsicher müssen da die laufenden Atomanlagen erst sein... ? Sicher ist nur, dass auch im Fall des EPR-Projektes die Verbraucher und Steuerzahler wiederum die Kosten tragen werden. Selbst der Bericht der beiden atomfreundlichen Abgeordneten Bataille (PS) und Birraux (UMP) von 2004 gibt an, dass die Kilowattstunde EPR-Strom maximal 10 % günstiger würde im Vergleich zur Produktion des gegenwärtigen Kraftwerksparks. EDF ist eigentlich auf die Investitionen weiterer Partner angewiesen, um den Bau des EPR überhaupt tragfähig finanzieren zu können.

Der EPR als Mittel nuklearer Besitzstandswahrung

EPR ist Nonsens - der Das Vorzeigeprojekt EPR wird somit zu einem weiteren Klotz am Bein der angeschlagenen EDF, die sich mit ihren mehr als 25 Mrd. Euro Schulden auf die Liberalisierung des französischen Energiemarktes vorbereiten muss. Die Kapitalöffnung und das Ende des Status als Unternehmen des öffentlichen Dienstes ("service public") ruft den – berechtigten - Widerstand der EDF-Belegschaft hervor. In ihr ist vor allem die kommunistische Gewerkschaft CGT besonders stark organisiert. Vor diesem Hintergrund kann der neue Reaktor nun auch als attraktives Angebot an die gewerkschaftlichen Privatisierungsgegner der CGT verstanden werden. Mit der Großinvestition EPR wird die französische Regierung schließlich länger und stärker in die Pflicht genommen. Sie muss und sie wird „ihrem“ Energieversorger und dessen Belegschaften damit weiterhin finanziell beistehen. EDF und Gewerkschaften hoffen, auf diesem Weg ihre gewohnten Privilegien zu retten.

Aber die Frage hätte natürlich auch ganz anders gestellt werden können: Wie soll in Frankreich die sozial und ökologisch verantwortliche Energieversorgung der nächsten Jahrzehnte aussehen? Und wie will die Regierung bis 2010 den Anteil von 25% regenerativer Energien an der Stromerzeugung realisieren, der von der EU-Kommission vorgegeben wurde? Darauf geben die politisch Verantwortlichen in Frankreich keine Antwort.

Subventionen und Marktverzerrung
Oder: Wie baue ich einen neuen Atomreaktor? Das Beispiel Finnland
Möglich ist ein Neubau von Atomkraftwerken nur mit Hilfe von Marktverzerrungen, staatlichen Subventionen und Dumpingpreisen der Reaktorbauer. Die Entscheidung für den Bau des neuen Druckwasserreaktors EPR im finnischen Olkiluoto ist aufgrund von Stromabnahmegarantien der Auftraggeber, einem halbstaatlichen Industriekonsortium, gefallen. Finanziell attraktiv wurde der Neubau erst durch den vom deutsch-französischen Reaktorbauer Areva garantierten Fixpreis von nur 3,2 Mrd. Euro. Dieses „schlüsselfertige“ Angebot für den neuen EPR geht in seiner Kalkulation jedoch von bisher unerreichten 60 Jahren Betriebsdauer und einer Verfügbarkeit von 90% aus, wobei die Bauzeit nur 57 Monate betragen soll. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass bei einem Prototypen diese hypothetischen Idealzahlen erreicht werden. Steigen die Kosten über den Fixpreis, trägt der Reaktorbauer Areva, und damit der französische Steuerzahler bzw. die Siemens-Aktionäre, die Kosten. Areva hat für den Bau des EPR in Finnland außerdem Vorzugskredite der Bayerischen Landesbank sowie Staatsbürgschaften der französischen Exportkreditagentur Coface erhalten. Diese sichert üblicherweise nur Exportprojekte in risikoreiche Entwicklungs- und Schwellenländer ab. (Quelle: EUROSOLAR: Die Kosten der Atomenergie. Bonn, April 2006. http://www.eurosolar.org)

Bilder von der Europäischen Demo "Stop EPR - Ja zu Alternativen" 

Die Demo im Internet:
www.stop-epr.org

 

www.stop-epr.org